Shortlist des WORTMELDUNGEN Ulrike Crespo Literaturpreises 2024

Fünf Autor:innen sind für die Shortlist des 7. WORTMELDUNGEN-Literaturpreises nominiert: Nilufar Karkhiran Khozani, Elena Messner, Dragica Rajčić Holzner, Konrad H. Roenne und Frank Witzel.

So begründet die interdisziplinär besetzte Jury ihre Auswahl: "Es wurde sich für eine Shortlist entschieden, die der Suche nach der Form die Frage nach dem Stoff zur Seite stellt. Wie schreibt man etwa über die Revolte der Frauen im Iran, wenn man diesem Land qua Herkunft verbunden, aber doch von ihm als Exilantin in Sprache und Alltag getrennt ist? Wie lässt sich von der Grausamkeit der Tierindustrie erzählen, ohne auf bewährte, abgegriffene Diskursmuster zu verfallen? Wie werden prekarisierte Stimmen, prekarisierte Räume in der Literatur sichtbar, ohne durch den ihnen abgeforderten literarischen Stil neutralisiert zu werden? Und inwiefern ist der Essay überhaupt Ausdruck der Unmöglichkeit, das eigene Erleben mit dem Weltgeschehen zu überblenden? Spürbar wird in allen fünf nominierten Texten, dass das Beharren auf sprachlicher Präzision gerade nicht für einen weltabgewandten Ästhetizismus, sondern vielmehr für das Bemühen einer Literatur steht, auf eine immer stärker polarisierende Wirklichkeit zu antworten."

Nilufar Karkhiran Khozani

In Schatten gebannt

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1983 geboren, ist Autorin und lebt in Berlin. Sie studierte Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft sowie Psychologie und machte eine Ausbildung zur Verhaltenstherapeutin. Ihre Texte wurden in verschiedenen Literaturzeitschriften veröffentlicht. 2020 erschien ihr Lyrikdebüt Romance Would Be a Very Fine Bonus Indeed (Re:sonar Verlag), im gleichen Jahr war sie Artist in Residence beim PROSANOVA Festival in Hildesheim. 2023 erschien das vielbeachtete Romandebüt Terafik (Blessing Verlag).

"Frauen, Leben, Freiheit: Nilufar Karkhiran Khozani führt uns in einer ausgreifenden Suchbewegung mitten hinein in die (versuchte) Revolution der iranischen Frauen. Ein Aufklärungsversuch, der gleichzeitig Selbstaufklärung ist und ein Text, der das Geschehen von den Rändern her erzählt: Wie zufällig ausgewählte Instagram-Nachrichten werden entziffert und ergeben wiederum Worte, die die Autorin lernen muss, um diese Nachrichten zu verstehen. So entsteht ein eindrucksvolles, wenn auch zersplittertes Mosaik dieses fast schon wieder vergessenen Aufstands, das die Kraft und den langen Atem der Protestierenden, aber auch die ungeheure Brutalität mit der diese konfrontiert sind, einzufangen vermag." (Begründung der Jury)

Elena Messner

Kühe

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1983 geboren, ist Schriftstellerin und Kulturwissenschaftlerin und lebt in Wien. Sie lehrt an verschiedenen Universitäten und forscht seit 2023 als Senior Scientist (FWF) an der Universität Wien. Sie publiziert Prosa, Essays, Theatertexte sowie literaturwissenschaftliche Texte. Für ihre literarische Arbeit erhielt sie 2021 den Kärntner Förderungspreis für Literatur, ein Arbeitsstipendium für Literatur der Stadt Wien 2022 sowie ein Langzeitstipendium für Literatur des BMKOES. Zuletzt erschien der Roman Schmerzambulanz (Edition Atelier, Wien 2023), für den sie den Theodor Körner-Preis erhielt.

"Kühe erzählt von der Lust auf Fleisch und welche Umstände dazu führen, dass diese befriedigt werden können und wollen. Messners Text setzt sich zur Aufgabe, eine Position zu untersuchen, an der nichts zustimmungsfähig erscheint. Aus diesem „ich weiß, aber dennoch“ heraus entwickelt sich eine vielschichtige Reflexion auf kapitalistische Produktion von Fleisch, die Arbeitsverhältnisse, die diese hervorbringt und deren Auswirkungen auf selbst die intimsten Beziehungen der Menschen, die darin gefangen sind. Die drängenden ethischen Fragen, die sich daraus ergeben, werden ohne jedes Auftrumpfen mit schnellen oder einfachen Antworten verhandelt. Den Leser:innen wird in dieser herausfordernden Erzählung gleichermaßen zugemutet wie zugetraut, zu eigenen Schlüssen zu kommen." (Begründung der Jury)

Dragica Rajčić Holzner

Besseres Leben. Abschweifungen. Ausschweifungen

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1959 geboren, ist Autorin und Journalistin. Sie wurde in Kroatien geboren und lebt heute in Zürich und Innsbruck. Sie schrieb zunächst in ihrer Muttersprache Kroatisch, 1978 kam sie in die Schweiz und begann in deutscher Sprache zu schreiben. 1986 erschien ihr erster Gedichtband Halbgedichte einer Gastfrau. 1988 kehrte sie nach Kroatien zurück, gründete die Zeitung „Glas Kaštela“ und arbeitete als Journalistin. 1991 flüchtete sie nach dem Ausbruch des Krieges in Kroatien mit ihren drei Kindern in die Schweiz. Sie veröffentlichte Bücher und Theaterstücke, studierte Soziokultur in Luzern und arbeitete als Zeitungsredakteurin. Für ihre literarischen Texte wurde sie u.a. mit dem Förderpreis zum Adelbert-von-Chamisso-Preis, dem Förderpreis Lyrikpreis Meran und dem Schweizer Literaturpreis 2021 ausgezeichnet. Zuletzt erschien der Roman Liebe um Liebe (Matthes & Seitz Berlin, 2021).

"Eine Standortbestimmung, die die Beziehung von Arbeit, Migration, Prekarisierung und Literaturbetrieb in Inhalt und Form zu reflektieren vermag, bietet der Text von Dragica Rajčić Holzner. Gehalten ist er in einem Duktus, der die Gebrochenheit einer Biographie abspiegelt, die aus dem ehemaligen Jugoslawien in die Schweiz führt. Zugleich jedoch legt der Essay auch die Distanz offen, die zwischen den tastenden Versuchen, das eigene Leben in fremder Sprache zu erzählen, und dem normativen Selbstverständnis literarischer Institutionen (nicht zuletzt: Literaturpreisen) liegt. Am Ende steht ein wundersames, ja, schönes Sprachgeflecht, das uns auf unaufdringliche Weise genau das abverlangt, was wir so ungern leisten: Selbstkritik." (Begründung der Jury)

Konrad H. Roenne

This song is dedicated to the Somewheres

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1979 geboren, ist Autor und lebt in Berlin. Er arbeitete u.a. für das „Vice“-Magazin und in einer Einrichtung für psychisch Kranke. Seine Prosatexte und Essays wurden in verschiedenen Anthologien und Zeitschriften veröffentlicht, u.a. in der Bella Triste, Lichtungen, Merkur. 2022 erschien sein Debütroman Hoch Mittag (Ammian Verlag Berlin). Für seine Texte erhielt er u.a. den Preis der Wuppertaler Literatur Biennale, ein Arbeits- und Recherchestipendium des Berliner Senats sowie das Alfred-Döblin-Stipendium der Akademie der Künste Berlin. 2024 ist er Stipendiat im Schloss Wiepersdorf.

"Eigenwillig und komisch, lehrreich und genau, wagt Konrad H. Roenne einen Blick in den toten Winkel gesellschaftlicher Veränderungsprozesse. Die 'Modernisierungsverlierer' sind hier jene, die Bänke auf einem öffentlichen Platz besetzen und den Tag mit Reden über die Welt und Bierkonsum verbringen. Aber es sind auch jene mit einer besonderen Empfindsamkeit gegenüber innerstädtischer Aufwertung und Verdrängung. Roenne geht es um Raumkonflikte, erzählt aus der Perspektive derer, die nicht vorgesehen sind. Es geht um die widerständige Umnutzung und Aneignung des öffentlichen Raums. Mit Sprachwitz, Literarizität und analytischer Klarheit gelingt eine überzeugende Miniatur gesellschaftlicher Verhältnisse, die ohne Zeigefinger und Moralisierung auskommt." (Begründung der Jury)

Frank Witzel

Die Möglichkeit einer Micky Maus

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1955 geboren, ist Schriftsteller. Er schreibt Lyrik, Prosa und Hörspiele und veröffentlichte seit seinem Lyrikdebüt 1978 mehr als ein Dutzend Bücher, darunter die Romane Bluemoon Baby (2001), Vondenloh (2008) und Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969 ( Matthes & Seitz Berlin, 2015), für den er den Deutschen Buchpreis 2015 erhielt. 2017 hatte er die Friederich-Stiftungsprofessur an der Hochschule für Gestaltung Offenbach sowie zwischen 2017 und 2021 Poetikdozenturen in Heidelberg, Tübingen und Paderborn inne. 2021 wurde er mit dem Erich-Fried-Preis ausgezeichnet. Zuletzt erschien Die fernen Orte des Versagens (Matthes & Seitz Berlin, 2023). Frank Witzel lebt in Offenbach und Berlin.

"Vielleicht hat die Traurigkeit unserer Gesellschaft mit der Frage zu tun, wie sie mit Abschieden umgeht? In seinem brillanten Essay Die Möglichkeit einer Micky Maus macht sich Frank Witzel über unwillkürliche Abschiede Gedanken. Er schreibt über die feinen Risse, die das Leben segmentieren, die es einteilen in ein Davor und ein Danach. Trennungen sind schneller vollzogen als je, und dass etwas auf immer verloren ist, erkennt man oft erst viel zu spät. Frank Witzels große soziale Themen berührendes Nachdenken widmet sich verschiedenen Bereiche der Kunst. Er erkundet die Sprachen des Abschieds und versucht ihn zwischen Erklärung und Verklärung dingfest zu machen." (Begründung der Jury)

Am 7. Februar findet der große Shortlist-Abend im Literaturhaus Frankfurt statt, an dem die fünf Autorinnen und Autoren der Shortlist im Gespräch mit den Journalistinnen und Journalisten Lena Bopp, Carolin Callies, Björn Hayer, Malu Schrader und Jan Wiele über sich und ihre Texte Auskunft geben.

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